Montag, 15. Dezember 2025

Provenienzforschung: Bayern restituiert Gemälde

Restitution eines Gemäldes durch die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen


Erweitertes Restitutionsgesetz bezieht jetzt auch bislang ungeklärte Bereiche wie Händlerware, Auslandverkäufe und Fluchtgut mit ein! Nach 15 Jahren wird eine zunächst negativ befundene Entscheidung aus dem Jahr 2010 revidiert und ein Gemälde aus dem Umkreis von Lucas Cranach dem Älteren wurde Anfang Dezember an die Erben von Ernst Magnus zurückgegeben


Seit Juli 2025 ist das neu begründete Referat für Provenienzforschung an der Museumsagentur mit der Neubewertung von Restitutionanträgen betraut (English)


München. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben den 2010 zunächst abgelehnten Erb-Fall neu bewertet und das Renaissance-Gemälde „Hl. Anna Selbdritt“, welches zwischen 1522-1525 datiert werden kann und aus dem Umkreis Lucas Cranach d. Ä. stammt, jetzt an die Erben des einstigen Besitzers nach  Ernst Magnus (Hannover) zurückgegeben. Das Gemälde wurde im Jahr 1940 vom einstigen Eigentümer an die Galerie Fischer in Luzern in Kommission abgegeben, der Kunsthändler Walter Andreas Hofer verkaufte das kleinformatige Werk im Jahr 1941 an Hermann Göring. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs landete das Werk im Central Collecting Point der amerikanischen Alliierten am Königsplatz und wurde von dort treuhänderisch an den Bayerischen Ministerpräsidenten übergeben. Im Jahr 1961 ging das Gemälde „Hl. Anna Selbdritt“ als Erwerbung aus NS-Besitz in die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

Alte Pinakothek, Rückseite, München, Foto: Helga Waess (Pressefotoarchiv)


 Neuer Bewertungsrahmen der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut in Bayern

Das 2009 gestellten Restitutionsgesuch der Erben wurde, nach der Ablehnung des Anspruchs im Jahr 2010, nun auf Basis des neuen Bewertungsrahmens der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut für die Prüfung und Entscheidung zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut geprüft und  Restitution jetzt bewilligt.

Der Bayerische Kunstminister Markus Blume sagte am 12. Dezember zu der aktuellen Entscheidung: 

„Ich freue mich, dass der klar definierte und erweiterte Kriterienkatalog des neuen Bewertungsrahmens des Schiedsgerichts NS-Raubgut die rechtlichen Voraussetzungen für die Rückgabe des Gemäldes ‚Hl. Anna Selbdritt‘ an die Erben nach Ernst Magnus schafft. Mit dem Start der Schiedsgerichtsbarkeit hat eine neue Ära bei der Rückgabe von NS-Raubkunst begonnen – und sie wirkt weit über den Rechtsweg hinaus. Der Bewertungsrahmen konkretisiert die Washingtoner Prinzipien und schafft verlässliche Leitlinien. Das ist ein wichtiger Fortschritt für eine zeitgemäße Restitutionspraxis. Zum ersten Mal werden auch bislang ungeklärte Bereiche wie Händlerware, Auslandverkäufe und Fluchtgut geregelt. Dabei gilt: Keine Regel ohne Ausnahme – nur so lässt sich jeder Einzelfall individuell würdigen. Für Museen in Bayern und deutschlandweit schafft das die Chance, schwierige Sachverhalte erneut zu beleuchten und Entscheidungen auf eine breitere, tragfähige Grundlage zu stellen“.

Anton Biebl, der Leiter der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen äußertes sich wie folgt: 

„Die Entscheidung, das Werk an die Erben von Ernst Magnus zurückzugeben, ist ein sichtbares Zeichen für die Weiterentwicklung unserer Restitutionspraxis. Wir sind den Opfern des NS-Unrechts und ihren Nachfahren verpflichtet, ihre Geschichten sichtbar zu machen und gerechte Lösungen zu finden."

Hannah Cavendish-Palmer, die Urenkelin von Ernst Magnus, bedankt sich mit folgenden Worten:

‘Thank you to the people of Germany for being willing to listen, remember, and recognize the tragic persecution of my family members and so many others, whose lives were destroyed by the Nazis. Thank you to the Bavarian State Museums for hearing that call and returning the painting. I implore German institutions to continue returning stolen works.’

Übersetzt: Ich danke dem deutschen Volk für seine Bereitschaft, zuzuhören, sich zu erinnern und die tragische Verfolgung meiner Familienmitglieder und so vieler anderer anzuerkennen, deren Leben von den Nazis zerstört wurde. Mein Dank gilt den Bayerischen Staatsmuseen, die diesem Appell gefolgt sind und das Gemälde zurückgegeben haben. Ich appelliere an alle deutschen Institutionen, weiterhin gestohlene Kunstwerke zurückzugeben.


Ernst Magnus (1871–1942) und seine Frau Ida stammten ursprünglich aus Hessen und lebten lange Jahre in Hannover

Magnus war Direktor der Commerz- und Disconto-Bank Hannover, Mitglied im Börsenvorstand und von 1914 bis 1933 im Aufsichtsrat der Continental Gummi-Werke AG. Gemeinsam mit seiner Frau baute er eine Kunstsammlung auf, beraten von einem Assistenten des Kunsthistorikers, Museumsfachmanns und Mitbegründers des modernen Museumswesens Wilhelm von Bode.

Mit Beginn des NS-Regimes wurde die Familie zunehmend entrechtet. Ihre Konten wurden gesperrt, Grundstücke unter Wert verkauft, Judenvermögensabgabe und Reichsfluchtsteuer mussten geleistet werden. 1935 war Ernst Magnus verfolgungsbedingt nach Lausanne emigriert, wohin er Teile seiner Sammlung und wertvolle Einrichtungsgegenstände mitnehmen konnte. 

Doch um die Kosten der Flucht und ein Visum für Kuba finanzieren zu können, sah sich Magnus gezwungen, weitere Kunstwerke zu verkaufen, darunter „Hl. Anna Selbdritt“. Als sich die Asylregelungen in der Schweiz zunehmend verschärften, gelang der Familie 1941 die Ausreise über Sevilla nach Havanna, wo Ernst Magnus bereits wenige Monate später, am 12. Februar 1942, verstarb. Seine Frau und Tochter konnten weiter in die USA fliehen.


Die Provenienzforschung im vorliegende Fall zeigt, dass die Bewertung von sogenanntem „Fluchtgut“ neue Tatsachen begründet

Verkäufe in der Schweiz während der NS-Zeit lassen sich häufig schwer einordnen, da sie einerseits unter formal freien Marktbedingungen stattfanden, andererseits aber oftmals von den existenziellen Zwängen der Verfolgung diktiert waren. 

Der 2024 verabschiedete neue Bewertungsrahmen ermöglicht hier eine differenziertere Betrachtung: Er berücksichtigt stärker die verfolgungsbedingten wirtschaftlichen Nöte von Emigrantinnen und Emigranten, indem er anerkennt, dass auch außerhalb des Reichsgebietes erzwungene Verkäufe vorliegen können.

Für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und die Forschenden des neu gegründeten Referates für Provenienzforschung an der Museumsagentur bedeutet dies

... Fälle wie den von Ernst Magnus nach mehr als einem Jahrzehnt neu zu bewerten und Entscheidungen auch nach vielen Jahren erneut kritisch zu hinterfragen. 

Zugleich ist es eine Verpflichtung, die Provenienzforschung weiter auszubauen, Ressourcen bereitzustellen und die Ergebnisse transparent zu kommunizieren. 

Die Restitution des Gemäldes „Hl. Anna Selbdritt“ ist damit auch ein Zeichen dafür, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Verantwortung übernehmen und den Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern konsequent weiterentwickeln.



Quelle: der vorliegende Text und Sachverhalt bezieht sich auf die Pressemeldung der 

Bayerischen Staatsgemäldesammlungen  vom 12. Dezember 2025