RESTITUTION VON WEITEREN VIER GEMÄLDEN der BAYERISCHEN STAATSGEMÄLDESAMMLUNGEN - 02. September 2025
Kunstminister Markus Blume entschied auf Vorschlag der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Ende August auf Restitution von vier Gemälden - zuvor hatten das Referat für Provenienzforschung an der neu gegründeten Staatlichen Museumsagentur Bayern ermittelt, dass es sich hier um NS-Raubkunst handelt
Rückgaben setzen Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte fort (English, Français, Deutsch)
MÜNCHEN. Vier Gemälde aus dem Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen werden den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben. Die Forschung des Referats für Provenienzforschung an der neu gegründeten Staatlichen Museumsagentur Bayern hatte ergeben, dass es sich um NS-Raubkunst handelt. Infolgedessen entschied Kunstminister Markus Blume auf Vorschlag der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Ende August auf Restitution der Gemälde „Lot und seine Töchter“ und „Abraham bewirtet die drei Engel“ von Franz Sigrist d. Ä., „Am Wirtshaustisch“ von Ernst Karl Georg Zimmermann sowie „Hl. Anna Selbdritt“ aus dem Umkreis Lucas Cranach d. Ä.. Für das Werk „Junges Mädchen mit Strohhut“ von Friedrich von Amerling wird die Anrufung des Schiedsgerichts NS-Raubkunst zur Entscheidung vorgeschlagen. Der Abschluss der Beforschung und Bewertung der fünf Werke ist Ausdruck von mehr Transparenz und Tempo bei Provenienzforschung und Restitution sowie des Neuanfangs von Anton Biebl als Leiter der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Frühjahr dieses Jahres.
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Kunstareal in München: Pinakothek der Moderne und Alte Pinakothek (unten re.) in München, Foto: Helga Waess (Collage - Pressefotoarchiv) |
MARKUS BLUME UND ANTON BIEBL ZU DEN RESTITUTIONEN
„Mit der Rückgabe dieser vier Werke können wir das grausame Unrecht an den Eigentümern nicht heilen. Aber wir können damit den Versuch der Wiedergutmachung in Richtung der Opfer unternehmen und ein Zeichen setzen: Wir arbeiten intensiv an der Aufarbeitung des NS-Unrechts – seit diesem Frühjahr mit mehr Tempo, mehr Transparenz und mehr Ergebnissen“, betont Kunstminister Markus Blume. „Ich bin Anton Biebl und allen Beteiligten sehr dankbar, dass sie die Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte so engagiert vorantreiben. Auch die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit noch in diesem Jahr wird die Aufarbeitung weiter voranbringen und für einen rechtssicheren und gerechten Abschluss von strittigen Fällen sorgen. Bayern hat sich mit Vehemenz für die Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit eingesetzt und wird solche Fälle selbstverständlich dieser Instanz vorlegen, wenn die anderen Beteiligten zustimmen.“
„Die Rückgabe der vier Gemälde ist für uns ein weiterer wichtiger Schritt, die Aufarbeitung unserer Sammlungsgeschichte fortzusetzen“, betont Anton Biebl. „Wir nehmen die Verantwortung für eine gründliche Provenienzforschung sehr ernst. Für uns ist entscheidend, dass Entscheidungen transparent, nachvollziehbar und nach internationalen Standards getroffen werden. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass sowohl die berechtigten Interessen der Erben als auch die Verantwortung der Museen für die Bewahrung des Kulturerbes fair berücksichtigt werden.
Der Fall Lion zeigt, wie komplex Restitutionsfragen sein können, wenn historische Quellen unterschiedliche Deutungen zulassen. Gerade deshalb schlagen wir im Fall des Werkes von Amerling bewusst den Weg über das neue Schiedsgericht vor: Nur eine unabhängige und neutrale Instanz kann in einem strittigen Fall wie diesem für Klarheit sorgen.“
RESTITUTION AN DIE ERBEN der Münchner Kunsthandlung Brüder Lion
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen geben zwei Gemälde des österreichischen Künstlers Franz Sigrist d. Ä. (1727–1803) an die Erben der ehemaligen Münchner Kunsthandlung Brüder Lion zurück: „Lot und seine Töchter“ sowie „Abraham bewirtet die drei Engel“.
Die beiden kleinformatigen altdeutschen Werke gelangten am 14. Dezember 1936 im Tausch gegen ein großformatiges impressionistisches Werk des dänischen Malers Peder Severin Krøyer (1851–1909) in den Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen – nur wenige Tage, bevor die traditionsreiche Galerie Brüder Lion am Maximiliansplatz in München gezwungen wurde ihren Geschäftsbetrieb auf Druck der nationalsozialistischen Behörden zu beenden. Die Werke von Sigrist wurden proaktiv recherchiert und sind seit 2020 bei der Lost Art-Datenbank gemeldet.
Die Kunsthandlung Brüder Lion war 1888 von Jakob Lion gegründet worden. Sie entwickelte sich in den 1920er-Jahren zu einer der führenden Galerien Münchens und gehörte bis 1935 zu den zehn umsatzstärksten Kunst- und Antiquitätenhandelsfirmen in München. Bereits 1927 erwarben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen dort erstmals Kunstwerke. Neben dem Stammhaus mit elf Ausstellungsräumen betrieben die Brüder Louis, Hans und Fritz Lion zeitweise eine Filiale in Berlin sowie ein Saisongeschäft in Marienbad. Mit der „Machtergreifung” der Nationalsozialisten wurde ihre Geschäftstätigkeit jedoch sukzessive eingeschränkt, bis die Schließung des Münchner Hauses Ende 1936 erzwungen wurde.
RESTITUTION DES GEMÄLDES „AM WIRTSHAUSTISCH“ VON ERNST KARL GEORG ZIMMERMANN
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben das Gemälde „Am Wirtshaustisch“ von Ernst Karl Georg Zimmermann (1852-1901) proaktiv erforscht und 2022 auf Lost Art gemeldet. Das Werk kam als Erwerbung aus NS-Besitz in den Bestand. Auch wenn seine Provenienz nicht vollständig ermittelt werden konnte, ist der NS-verfolgungsbedingte Verlust des Münchner Kunsthändlers Bertold Jochsberger (1878-1940) eindeutig. Unklar ist jedoch, ob gegebenenfalls weitere, heute noch unbekannte frühere Eigentümer als Erstgeschädigte vorrangig zu berücksichtigen sind. Jetzt ist zu klären, an wen das Werk letztendlich herauszugeben ist.
RESTITUTION „HL. ANNA SELBDRITT“ aus dem Umkreis VON LUCAS CRANACH DEM ÄLTEREN
Im Fall des Werkes „Hl. Anna Selbdritt“ von einem anonymen Schüler Lucas Cranachs d. Ä. wurde in einem sogenannten Fluchtgutfall nach erneuter Prüfung auf Grundlage des neuen Bewertungsrahmens die Restitution entschieden. Dieser 2024 verabschiedete Bewertungsrahmen ermöglicht hier eine differenziertere Betrachtung: Er berücksichtigt stärker die verfolgungsbedingten wirtschaftlichen Nöte von Emigranten, indem er anerkennt, dass auch außerhalb des Reichsgebietes erzwungene Verkäufe vorliegen können. Der als jüdisch verfolgte Direktor der Commerz- und Disconto-Bank Hannover Ernst Magnus (1973-1942) verkaufte das Gemälde in der Schweiz. Damit finanzierte er die Flucht seiner Familie, da sämtliches Vermögen in Deutschland nicht mehr verfügbar war.
Schiedsgericht NS-Raubkunst KANN im FALL DES AMERLING-Gemäldes ENDGÜLTIGE Klärung SCHAFFEN
Seit Februar 2024 wurden sämtliche Erwerbungen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen aus der Kunsthandlung Brüder Lion eingehend untersucht. Dabei konnte eine Forderung der Erben nach Lion für Rückgabe des Gemäldes „Junges Mädchen mit Strohhut“ von Friedrich von Amerling (1803–1887) nach intensiven Forschungen nicht bestätigt werden. Die Forschungsergebnisse sprechen dafür, dass eindeutige und ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Kunsthandlung zum Zeitpunkt des Tauschgeschäfts noch frei auf dem Markt agieren konnte und von einem Handelsgeschäft im Rahmen eines „ordnungsgemäßen üblichen Geschäftsverkehrs“ auszugehen ist.
Der Erwerb durch Tausch war bereits 1934 vereinbart und wurde im Januar 1935 vollzogen. An die Kunsthandlung Brüder Lion gingen damals eine großformatige Gartenszene des venezianischen Ottocento-Künstlers Luigi Nono (1850–1918) sowie ein Prunkstillleben des österreichischen Genremalers Max Schödl (1834–1921) anstelle einer Geldzahlung. Tauschgeschäfte mit Kunsthandlungen, Privatpersonen oder anderen Sammlungen waren schon vor der Zeit des Nationalsozialismus übliche Praxis für Museen, wenn keine Geldmittel vorhanden waren. Dem neuen Bewertungsrahmen des Schiedsgerichts NS-Raubkunst folgend ist nach Auswertung der Forschungsergebnisse nicht von einem verfolgungsbedingten Verlust auszugehen.
Damit weicht die Einschätzung des verfolgungsbedingten Verlusts von der der Antragsteller ab. Eine verbindliche und gerechte Klärung dieses Widerspruchs kann durch eine Entscheidung durch das Schiedsgericht NS-Raubkunst erreicht werden, zumal dessen Spruchpraxis zum Kriterium des „ordnungsgemäßen üblichen Geschäftsverkehrs“ noch nicht vorliegt. Auf diese Weise wird eine unabhängige und neutrale Bewertung der bisherigen Recherchen ermöglicht, um größtmögliche Transparenz sicherzustellen und ein faires, für alle Seiten nachvollziehbares Schiedsurteil zu gewährleisten. Der Freistaat setzt damit bewusst auf ein transparentes Verfahren, das den internationalen Standards der Restitutionspraxis entspricht.
Aufarbeitung und Provenienzforschung
Das Referat für Provenienzforschung ist seit Juli 2025 in der neu gegründeten Staatlichen Museumsagentur Bayern angesiedelt. Die Forscherinnen arbeiten seit Jahrzehnten systematisch an den Beständen der staatlichen Museen.
Ziel der Provenienzforschung ist es, die Herkunftsgeschichte aller Sammlungsbestände des Freistaats – insbesondere der Erwerbungen aus der Zeit des Nationalsozialismus – transparent zu machen und kritisch zu hinterfragen.
Gerade im Fall der Kunsthandlung Brüder Lion zeigt sich die besondere Komplexität der Provenienzforschung, da viele Geschäftsunterlagen durch Verfolgung und Emigration verloren gingen. Die Rekonstruktion der Erwerbungsgeschichte war daher nur mit intensiver Recherche und unter Einbeziehung zahlreicher Quellen möglich. Im Fall Magnus ist die Entscheidung, das Werk an die Erben zurückzugeben, ein sichtbares Zeichen für die Weiterentwicklung der Restitutionspraxis des Freistaates. Der Fall Jochsberger wiederum demonstriert die Herausforderungen in der Suche nach den heute berechtigten Eigentümern.
Weitere 8 Werke warten auf die Restitutionsentscheidung
Abgesehen von diesen aktuellen Restitutionsentscheidungen bereitet das Referat für Provenienzforschung an der Staatlichen Museumsagentur Bayern in Zusammenarbeit mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen die Rückgabe von weiteren acht Werken vor, über die bereits entschieden wurde: Provenienzforschung.
QUELLE - Pressemeldung:
- Medieninformation der Bayerische Staatsgemäldesammlungen vom 2. September 2025: "Restitution von weiteren vier Gemälden der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen"