Sonntag, 29. Juli 2018

Baden-Baden-LA8 Teil 3: Ein Gang durch die Ausstellung "Gediegener Spott"

Baden-Baden, Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts - noch bis 09. September 2018


Teil 3: Ein Gang durch die Ausstellung „Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel“


Unser Fazit: Krähwinkel ist überall!



In der Ausstellung „Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel“ findet sich der Besucher durch viele Artefakte wie mehrstöckige Puppenhäuser und Biedermeier-Mobiliar in eben jene Jahre des Vormärz' zurück versetzt. Das hier ausgestellte Wohnzimmer-Interieur findet sich auf den Graphiken aus dem fiktiven Krähwinkel an den Museums-Wänden des LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts wieder.

Puppenhaus mit sieben Zimmern und Miniatur-Mobiliar der Biedermeierzeit
links: Krähwinkelbilder und Biedermeiermobiliar,
Pressefoto aus der Ausstellung Gediegener Spott,
im Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts,
Presse-Foto: Helga Waess

Die Feinheit der Ausführung, die zeichnerische Qualität, der saubere Druck der graphischen Blätter, die Farbigkeit der Darstellungen und vor allem die Nähe zur zeitgenössischen Realität ihrer Zeit fällt dem heutigen Betrachter ganz nebenbei ins Auge.
Man schreitet von Bild zu Bild, liest den jeweils zugehörigen Vers, der sich dargestellt findet und schmunzelt über die wortwörtliche Umsetzung des geschriebenen Wortes.

In Puppenstuben, die mit Miniaturmöbeln der Zeit überzuquellen scheinen, wird die eigene Lebensrealität gespiegelt


In der Zeit des Biedermeier verlagerte sich das Leben in die bürgerlichen Wohnzimmer. Man zog sich zurück in eine anheimelnde, scheinbar behütete Athmosphäre und erfand für sich eine quasi idyllische Lebensform. Hierzu gehörte auch die klare Rollenverteilung von Mann und Frau und die Heranführung des Nachwuchses an immer gleiche, geordnete und kleinbürgerliche Lebensmuster.
In Puppenstuben, die mit Miniaturmöbeln der Zeit überzuquellen scheinen, wird diese eigene Lebensrealität gespiegelt. Sie gehören zum erzieherischen Anschauungsmaterial der Gesellschaft des Biedermeier, einer Zeit, in der die Kindheit als Lebensphase neu entdeckt wird. Man schreibt Erziehungsleitfäden und Lehrreiche Verse.

Im Jahr 1844 veröffentlicht der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann den Struwelpeter samt Zappel-Philipp. Erziehung mit bildnerischen Mitteln wird selbst den Kleinsten über einen biedermeierlichen Humor vermittelt.

Ganz nach der Tradition der Krähwinkler-Bilder scheint auch Wilhelm Busch seine Protagonisten Max und Moritz zum allgemeinen Widerstand gegen die Obrigkeit zu animieren. Wir erinnern uns: da werden Witwe Bolte die gebratenen Hähnchen gestohlen, dem Schneidermeister Böck die Brücke angesägt und dem Onkel Fritz die Käfer in die Matratze gestopft.

Die Eltern der Biedermeierzeit bestückten Puppenhäuser mit Sammel-Mobiliar, bis sie nach unserem heutigen Empfinden schier überzuquellen schienen. Die Kleinen spielten mit und sammelten fleißig. Das Einrichten ihrer kleinen Häuser sowie die Pflege des Interieurs und nicht das bloße Spiel mit all den kleinen Möbelstücken, Teppichen, Töpfen und Pfannen war der Sinn. So übte der bürgerliche Nachwuchs den Umgang mit der Atmosphäre der geordneten Erwachsenenwelt in der jedes Ding und jedes Bild seinen Platz hatte.

Mobiliar des Biedermeier in der Ausstellung
- Pressefoto aus der Ausstellung Gediegener Spott,
im Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts,
Presse-Foto: Helga Waess


Den Krähwinkler-Kupferstichen findet sich das Bürgertum des Biedermeier wieder

Der Zeitgenosse erkennt das Mobiliar seiner feinen, idyllisch anheimelnden Wohnungen, vom Sofa bis zum Globus-Näh-Tischchen und das immer gleiche Büro-Interieur der Rathäuser wieder. Dort steht zum Beispiel eine sehr „lange (Warte-)Bank", eine „auf die man alles schieben“ kann. Dem fast kindlichen, kleinbürgerlichen Humor, der sich aus so genannten „Geflügelten Worten“ in Bilder transferieren ließ, entsprang eine neue, satirische Bildsprache.


Kolorierte Kupferstiche mit Krähwinkel-Satire in Sammelalben der Biedermeierzeit

Für die Kupferstiche, deren Vervielfältigung leicht war, wurden eigene Sammelalben angefertigt. Wir fühlen uns an die heutigen Sticker- beziehungsweise Panini-Heftchen der Kinder erinnert. Genau in dieser Form sammelten die Bürger jene Krähwinkel-Bildchen. Allein oder in geselliger Runde blätterte man abends durch die Sammlung - wie heute im Instagram-Account - und belustigte sich quasi über sich selbst, die eigene Gesellschaft und die absurde Realität der bürgerlichen Wohnzimmer. Die Massenware der Kupferstiche entfesselte in den Menschen der Zeit eine neue Kultur-Übung: Die Sammel-Bilderkultur. Ganz im Sinne der urzeitlichen Version des Jägers und Sammlers lauerten die Bürger des Vormärz auf immer neue, seltene und noch lustigere Blätter, Bilder und Spottverse.

Wer dieser Tage – noch bis zum 02. September 2018 – nach Baden-Baden kommt sollte sich diese feine und auch heute noch humoristisch anmutende Ausstellung nicht entgehen lassen


Man kann die ausgestellte Artefakte der Vergangenheit ins Auge fassen, die Sprüche auf der Zunge zergehen lassen, das Gesehene und Gelesene von Mund zu Mund weitergeben oder sogar als fliegende Blätter beziehungsweise Bilder via Instagram in den Orbit streuen.

Merken Sie wie sehr unsere Sprache immer noch von den bildlichen Sprüchen des Biedermeier geprägt ist? 

Und es wird auch Ihnen spätestens nach Besuch der Ausstellung so gehen, dass Sie bei der Verwendung des einen oder anderen Spruches schmunzeln müssen, weil vor ihrem inneren Auge auf einmal ganze Bilderwelten entstehen, die jeder „Krähwinkel-Ausstellung“ gerecht werden würden.

Wenn Sie nach einem Besuch nicht die Nase voll haben, dann gönnen Sie sich einen zweiten und vor allem den sehr ausführlich informierenden Ausstellungskatalog!

Unser Fazit: Krähwinkel ist überall!


Die Leihgaben zur Baden-Badener Ausstellung wurden übrigens vom Wilhelm Busch Museum in Hannover und von einer bedeutenden Privatsammlung zur Verfügung gestellt.


2019 wird das Museum „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover diese Ausstellung zeigen


Im Jahr 2019 wird das „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover eben diese Ausstellung „Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel“ präsentieren. Eine, sagen wir „Jubiläumsausstellung“, die genau 200 Jahre nach der Einschränkung der Pressefreiheit durch die Karlsbader Beschlüsse die Freiheit der Presse und den Sieg der Meinungsfreiheit - auch mit dem Mittel der Satire - feiert.


Ausstellungstipp: Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel

verlängert bis bis 09. September 2018
im: Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts
Lichtentaler Allee 8
Baden-Baden


Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:


Matthias Winzen (Hrsg.), 
Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel
1. Auflage 2018, 
288 Seiten mit zahlreichen farbigen Abb., 
Hardcover 17,0 x 24,0 cm, 
ISBN: 978-3-7455-1022-5

 

NACHTRAG: Böhmermann lässt grüßen!


An dieser Stelle sei ein kleiner Griff in die Satire-Kritik unserer Zeit gestattet, denn wer fühlt sich durch die Krähwinkel-Satire an der Obrigkeit nicht an den sogenannten Fall Jan Böhmermann aus dem Jahr 2016 erinnert, der in Deutschland Unmut am längst vergessenen Majestätsbeleidigungs-Paragraph (bezogen auf Majestäten fremder Länder) aufwarf. Erst dieses Jahr - 01. Januar 2018 - wurde §103 StGB zur "Majestätsbeleidigung" aus dem Gesetz gestrichen.

LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden zeigt


-- verlängert bis 9. Sept. 2018 "GEDIEGENER SPOTT. Bilder aus Krähwinkel."

-- 29. Sept. 2018 bis 3. März 2019 "WILHELM BUSCH. Bilder und Geschichten"