Baden-Baden, Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts - noch bis 09. September 2018
Teil 3: Ein Gang durch die Ausstellung „Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel“
Unser Fazit: Krähwinkel ist überall!
In der Ausstellung
„Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel“ findet sich der
Besucher durch viele Artefakte wie mehrstöckige Puppenhäuser und Biedermeier-Mobiliar in eben jene Jahre des Vormärz'
zurück versetzt. Das hier ausgestellte Wohnzimmer-Interieur findet
sich auf den Graphiken aus dem fiktiven Krähwinkel an den
Museums-Wänden des LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts wieder.
Die Feinheit der Ausführung, die zeichnerische Qualität, der saubere Druck der graphischen Blätter, die Farbigkeit der Darstellungen und vor allem die Nähe zur zeitgenössischen Realität ihrer Zeit fällt dem heutigen Betrachter ganz nebenbei ins Auge.
Man schreitet von Bild zu Bild, liest den jeweils zugehörigen Vers, der sich dargestellt findet und schmunzelt über die wortwörtliche Umsetzung des geschriebenen Wortes.
Man schreitet von Bild zu Bild, liest den jeweils zugehörigen Vers, der sich dargestellt findet und schmunzelt über die wortwörtliche Umsetzung des geschriebenen Wortes.
In Puppenstuben, die mit Miniaturmöbeln der Zeit überzuquellen scheinen, wird die eigene Lebensrealität gespiegelt
In der Zeit des Biedermeier
verlagerte sich das Leben in die bürgerlichen Wohnzimmer. Man zog
sich zurück in eine anheimelnde, scheinbar behütete Athmosphäre
und erfand für sich eine quasi idyllische Lebensform. Hierzu gehörte
auch die klare Rollenverteilung von Mann und Frau und die
Heranführung des Nachwuchses an immer gleiche, geordnete und
kleinbürgerliche Lebensmuster.
In Puppenstuben, die mit
Miniaturmöbeln der Zeit überzuquellen scheinen, wird diese eigene
Lebensrealität gespiegelt. Sie gehören zum erzieherischen
Anschauungsmaterial der Gesellschaft des Biedermeier, einer Zeit, in der die Kindheit
als Lebensphase neu entdeckt wird. Man schreibt Erziehungsleitfäden
und Lehrreiche Verse.
Im Jahr 1844 veröffentlicht
der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann den
Struwelpeter samt Zappel-Philipp. Erziehung mit bildnerischen Mitteln
wird selbst den Kleinsten über einen biedermeierlichen Humor
vermittelt.
Ganz nach der Tradition der
Krähwinkler-Bilder scheint auch Wilhelm Busch seine Protagonisten
Max und Moritz zum allgemeinen Widerstand gegen die Obrigkeit zu
animieren. Wir erinnern uns: da werden Witwe Bolte die gebratenen
Hähnchen gestohlen, dem Schneidermeister Böck die Brücke angesägt
und dem Onkel Fritz die Käfer in die Matratze gestopft.
Die Eltern der
Biedermeierzeit bestückten Puppenhäuser mit Sammel-Mobiliar, bis sie
nach unserem heutigen Empfinden schier überzuquellen schienen. Die
Kleinen spielten mit und sammelten fleißig. Das Einrichten ihrer
kleinen Häuser sowie die Pflege des Interieurs und nicht das bloße
Spiel mit all den kleinen Möbelstücken, Teppichen, Töpfen und
Pfannen war der Sinn. So übte der bürgerliche Nachwuchs den Umgang
mit der Atmosphäre der geordneten Erwachsenenwelt in der jedes Ding
und jedes Bild seinen Platz hatte.
Mobiliar des Biedermeier in der Ausstellung - Pressefoto aus der Ausstellung Gediegener Spott, im Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Presse-Foto: Helga Waess |
Den
Krähwinkler-Kupferstichen findet sich das Bürgertum des Biedermeier
wieder
Der Zeitgenosse erkennt das
Mobiliar seiner feinen, idyllisch anheimelnden Wohnungen, vom Sofa bis
zum Globus-Näh-Tischchen und das immer gleiche Büro-Interieur der
Rathäuser wieder. Dort steht zum Beispiel eine sehr „lange
(Warte-)Bank", eine „auf die man alles schieben“ kann. Dem
fast kindlichen, kleinbürgerlichen Humor, der sich aus so genannten
„Geflügelten Worten“ in Bilder transferieren ließ, entsprang
eine neue, satirische Bildsprache.
Kolorierte Kupferstiche
mit Krähwinkel-Satire in Sammelalben der Biedermeierzeit
Für die Kupferstiche, deren
Vervielfältigung leicht war, wurden eigene Sammelalben angefertigt.
Wir fühlen uns an die heutigen Sticker- beziehungsweise
Panini-Heftchen der Kinder erinnert. Genau in dieser Form sammelten die Bürger
jene Krähwinkel-Bildchen. Allein oder in geselliger Runde blätterte
man abends durch die Sammlung - wie heute im Instagram-Account - und
belustigte sich quasi über sich selbst, die eigene Gesellschaft und
die absurde Realität der bürgerlichen Wohnzimmer. Die Massenware
der Kupferstiche entfesselte in den Menschen der Zeit eine neue
Kultur-Übung: Die Sammel-Bilderkultur. Ganz im Sinne der urzeitlichen Version
des Jägers und Sammlers lauerten die Bürger des Vormärz auf immer
neue, seltene und noch lustigere Blätter, Bilder und Spottverse.
Wer dieser Tage – noch bis zum 02. September 2018 – nach Baden-Baden kommt sollte sich diese feine und auch heute noch humoristisch anmutende Ausstellung nicht entgehen lassen
Man kann die ausgestellte Artefakte der Vergangenheit ins Auge fassen, die Sprüche auf der Zunge zergehen lassen, das
Gesehene und Gelesene von Mund zu Mund weitergeben oder sogar als
fliegende Blätter beziehungsweise Bilder via Instagram in den Orbit streuen.
Merken Sie wie sehr unsere
Sprache immer noch von den bildlichen Sprüchen des Biedermeier geprägt ist?
Und
es wird auch Ihnen spätestens nach Besuch der Ausstellung so gehen,
dass Sie bei der Verwendung des einen oder anderen Spruches
schmunzeln müssen, weil vor ihrem inneren Auge auf einmal ganze Bilderwelten entstehen, die jeder „Krähwinkel-Ausstellung“
gerecht werden würden.
Wenn Sie nach einem Besuch nicht die Nase voll haben, dann gönnen Sie sich einen zweiten und vor allem den sehr ausführlich informierenden Ausstellungskatalog!
Unser Fazit: Krähwinkel ist überall!
Die
Leihgaben zur Baden-Badener Ausstellung wurden übrigens vom Wilhelm Busch Museum
in Hannover und von einer bedeutenden Privatsammlung zur Verfügung
gestellt.
2019 wird das Museum „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover diese Ausstellung zeigen
Im
Jahr 2019 wird das „Wilhelm
Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“
in Hannover eben diese Ausstellung „Gediegener Spott.
Bilder aus Krähwinkel“ präsentieren.
Eine, sagen wir „Jubiläumsausstellung“, die genau 200 Jahre nach
der Einschränkung der Pressefreiheit durch die Karlsbader
Beschlüsse die
Freiheit der Presse und den Sieg der Meinungsfreiheit - auch mit dem
Mittel der Satire - feiert.
Ausstellungstipp: Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel
verlängert bis bis 09. September 2018
im: Museum LA8 – Museum
für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts
Lichtentaler Allee 8
Baden-Baden
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Matthias Winzen (Hrsg.),
Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel,
1. Auflage 2018,
288 Seiten
mit zahlreichen farbigen Abb.,
Hardcover 17,0 x 24,0 cm,
ISBN: 978-3-7455-1022-5
NACHTRAG: Böhmermann lässt grüßen!
An
dieser Stelle sei ein kleiner Griff in die Satire-Kritik unserer Zeit gestattet, denn wer fühlt sich durch die Krähwinkel-Satire an der Obrigkeit nicht an den sogenannten Fall Jan
Böhmermann aus dem Jahr 2016 erinnert, der in Deutschland Unmut am
längst vergessenen Majestätsbeleidigungs-Paragraph (bezogen auf Majestäten fremder Länder) aufwarf. Erst dieses Jahr - 01. Januar 2018 - wurde §103 StGB zur
"Majestätsbeleidigung" aus dem Gesetz gestrichen.
-- verlängert bis 9. Sept. 2018 "GEDIEGENER SPOTT. Bilder aus Krähwinkel."
-- 29. Sept. 2018 bis 3. März 2019 "WILHELM BUSCH. Bilder und Geschichten"
LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden zeigt
-- verlängert bis 9. Sept. 2018 "GEDIEGENER SPOTT. Bilder aus Krähwinkel."
-- 29. Sept. 2018 bis 3. März 2019 "WILHELM BUSCH. Bilder und Geschichten"