Sonntag, 29. Juli 2018

Baden-Baden LA8 - Teil1: Instagram und Gediegener Spott als künstlerische Nische für die Meinungsfreiheit

Baden-Baden, Museum LA8 - "Gediegener Spott" noch bis 09. September 2018


Teil 1: Die bildliche Selbstdarstellung der Gesellschaft vor 200 Jahren wirkte wie Instagram heute


Eine künstlerische Nische für die Meinungsfreiheit in Bildern mit gesellschaftlicher Satire



Info: Eine Ausstellungsbesprechung in drei Teilen

BADEN-BADEN. Wie umgeht man die staatliche Zensur der Medien? Eine heutzutage in vielen Ländern nicht unerhebliche Frage. Und: wie eine humorvoll anmutende Ausstellung in Baden-Baden zeigt, ist sie bereits vor 200 Jahren gestellt worden. Damals fand man einen geradezu belustigenden Weg!
"Wie ein Krähwinkler Ehemann unter dem
Pantoffel seiner Frau steht, aber sein Kreuz geduldig trägt."
- Pressefoto aus der Ausstellung Gediegener Spott, im:
Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik
des 19. Jahrhunderts, Foto: Helga Waess

Krähwinkel. Ein fiktiver, literarischer Ort


Krähwinkel. Ein fiktiver, literarischer Ort, der das Bürgertum der Biedermeier-Welt zum Sammeln satirischer Spott-Graphiken und zum verblüfften Lachen über die eigene Realität veranlasste. Die wortwörtliche bildnerische Interpretation von geflügelten Begriffen des Bürgertums führte dazu, dass Leitfäden der Erziehung und Sprichworte verdreht wiedergegeben wurden. Ja, sogar Generäle, Bürgermeister und Stadträte, Pfarrer und Schulmeister oder Eheleute und Junggesellen wurden auf den Arm genommen.
Kaum, dass ich diesen Satz schreibe, habe ich auch schon Bilder vor Augen: eines, das zeigt wie der Bürgermeister den Stadtrat mit ausgestreckten Armen trägt und so „auf den Arm nimmt“ oder ein anderes auf dem er den Rat der Stadt purzeln lässt, als er die Versammlung samt Sofa „aufhebt“. In einem weiteren kolorierten Bild hält eine Ehefrau einen Pantoffel über ihren Mann, der „tapfer“ sein Kreuz im Arm trägt.  (Abbildung)

Auf dem Ausstellungsplakat und auf dem Cover des Kataloges führt eine Dame einen Herrn an der „Nase herum“ - mit Daumen und Zeigefinger hat sie diese im festen Griff. Und schließlich karikiert der Künstler seine eigene Zunft, als er Kunststudenten zeigt, die bunte Streifen auf die Wege in einer Landschaft malen, weil sie das „Land durchstreifen“, um sich zu bilden. (Abbildung) Diese Darstellung von Christian Gottfried Heinrich Geißler finden wir in der Ausstellung auch auf zwei Bierkrügen aus dem Jahr 1825.

Gediegener Spott. Krähwinkel Souvenier, um 1825,
mit dem Motiv des Blattes
Wie die jungen Krähwinkler Maler auf einer Kunstreise das Land durchstreifen 
Motiv von Christian Gottfried Heinrich Geißler,
Leihgabe der Sammlung D. Ante
- Pressefoto aus der Ausstellung Gediegener Spott, im:
Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik
des 19. Jahrhunderts, Foto: Helga Waess

Mit spöttelnden, fein gezeichneten Satire-Blättern erreichten die Kritiker in der Zeit des Vormärz' (circa 1830-1848) jedermann und umgingen mit ihnen geschickt die Einschränkung der Pressefreiheit. Die staatliche Zensur der Presse war nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 besonders streng. Kritiker des Systems fanden in jenen bunten und fein ausgeführten Kupferstichen einen Weg, um die Zensur zu umgehen. Hier wurde in Bild und Spruch eine freie Meinung geäußert. Krähwinkel war ein fiktiver Ort und für die Zensur nicht greifbar. Er war also bestens geeignet um die "Spießbürger"-Idylle der eigenen Zeit und die herrschende Ordnung zu karikieren.

Krähwinkelbilder wirkten vor 200 Jahren wie Instagram heute


Jeder konnte sie sich leisten und jeder wollte sie sammeln: die „Bilder aus Krähwinkel“. In ihnen fand man sich selbst und seine heimelige Idylle karikiert. Prof. Dr. Matthias Winzen, der Kurator der Baden-Badener Ausstellung „Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel“ und Direktor des Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, betont im Katalog zur Ausstellung die deutlichen Parallelen zwischen der heutigen Selbstdarstellung der Gesellschaft auf Instagram und jener in der Kupferstich-Flut vor gut 200 Jahren. Sie erreichten die bürgerlichen Wohnzimmer und wurden zum begehrten Sammel-Alben-Objekt.

Prof. Dr. Matthias Winzen, Direktor des LA8,
mit dem Ausstellungskatalog vor dem Bild
"Wie die Krähwinkler Aufsehen erregen."
Presse-Foto: Helga Waess

Wir sind jetzt diese Krähwinkler vor den Bildern der Ausstellung!“ 


Der Museumsmann Prof. Dr. Matthias Winzen stellt einen Vergleich zwischen der Instagram-Affinität unserer Tage und der Krähwinkel-Sammelwut der Biedermeierzeit auf. Bilder für Jedermann.
Und: der Besucher fühlt sich ertappt.

"Wie die Krähwinkler Aufsehen erregen."
- Pressefoto aus der Ausstellung Gediegener Spott, im:
Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik
des 19. Jahrhunderts, Foto: Helga Waess

Die scheinbar intakte Idylle der Zeit des Vormärz'


Das Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden widmet den kritisch-satirischen „Bildern aus Krähwinkel“ eine faszinierende Schau und versetzt die Besucher mit „Gediegenem Spott“ in die scheinbar intakte Idylle der Zeit des Vormärz'.

LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden zeigt


-- verlängert bis 9. Sept. 2018 "GEDIEGENER SPOTT. Bilder aus Krähwinkel."

-- 29. Sept. 2018 bis 3. März 2019 "WILHELM BUSCH. Bilder und Geschichten"