Baden-Baden, Museum LA8 - "Gediegener Spott" noch bis 09. September 2018
Teil 1: Die bildliche Selbstdarstellung der Gesellschaft vor 200 Jahren wirkte wie Instagram heute
Eine künstlerische Nische für die Meinungsfreiheit in Bildern mit gesellschaftlicher Satire
Info: Eine Ausstellungsbesprechung in drei Teilen
BADEN-BADEN. Wie umgeht
man die staatliche Zensur der Medien? Eine heutzutage in vielen
Ländern nicht unerhebliche Frage. Und: wie eine humorvoll anmutende
Ausstellung in Baden-Baden zeigt, ist sie bereits vor 200 Jahren
gestellt worden. Damals fand man einen geradezu belustigenden Weg!
Krähwinkel. Ein fiktiver, literarischer Ort
Krähwinkel. Ein fiktiver,
literarischer Ort, der das Bürgertum der Biedermeier-Welt zum
Sammeln satirischer Spott-Graphiken und zum verblüfften Lachen über
die eigene Realität veranlasste. Die wortwörtliche
bildnerische Interpretation von geflügelten Begriffen des Bürgertums
führte dazu, dass Leitfäden der Erziehung und Sprichworte verdreht
wiedergegeben wurden. Ja, sogar Generäle,
Bürgermeister und Stadträte, Pfarrer und Schulmeister oder Eheleute
und Junggesellen wurden auf den Arm genommen.
Kaum, dass ich diesen Satz
schreibe, habe ich auch schon Bilder vor Augen: eines, das zeigt wie
der Bürgermeister den Stadtrat mit ausgestreckten Armen trägt und
so „auf den Arm nimmt“ oder ein anderes auf dem er den Rat der
Stadt purzeln lässt, als er die Versammlung samt Sofa „aufhebt“. In einem weiteren
kolorierten Bild hält eine Ehefrau einen Pantoffel über ihren Mann,
der „tapfer“ sein Kreuz im Arm trägt. (Abbildung)
Auf dem Ausstellungsplakat
und auf dem Cover des Kataloges führt eine Dame einen Herrn an der
„Nase herum“ - mit Daumen und Zeigefinger hat sie diese im festen
Griff. Und schließlich karikiert der Künstler seine eigene Zunft,
als er Kunststudenten zeigt, die bunte Streifen auf die Wege in einer
Landschaft malen, weil sie das „Land durchstreifen“, um sich zu
bilden. (Abbildung) Diese Darstellung von Christian Gottfried Heinrich Geißler
finden wir in der Ausstellung auch auf zwei Bierkrügen aus dem Jahr
1825.
Mit spöttelnden, fein
gezeichneten Satire-Blättern erreichten die Kritiker in der Zeit des
Vormärz' (circa 1830-1848) jedermann und umgingen mit ihnen
geschickt die Einschränkung der Pressefreiheit. Die staatliche
Zensur der Presse war nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819
besonders streng. Kritiker des Systems fanden in jenen bunten und
fein ausgeführten Kupferstichen einen Weg, um die Zensur zu umgehen.
Hier wurde in Bild und Spruch eine freie Meinung geäußert.
Krähwinkel war ein fiktiver Ort und für die Zensur nicht greifbar.
Er war also bestens geeignet um die "Spießbürger"-Idylle der eigenen
Zeit und die herrschende Ordnung zu karikieren.
Krähwinkelbilder wirkten vor 200 Jahren wie Instagram heute
Jeder konnte sie sich
leisten und jeder wollte sie sammeln: die „Bilder aus
Krähwinkel“. In ihnen fand man sich selbst und seine heimelige
Idylle karikiert. Prof. Dr. Matthias Winzen, der Kurator der
Baden-Badener Ausstellung „Gediegener Spott. Bilder aus
Krähwinkel“ und Direktor des Museum LA8 – Museum für
Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, betont im Katalog zur
Ausstellung die deutlichen Parallelen zwischen der heutigen
Selbstdarstellung der Gesellschaft auf Instagram und jener in der
Kupferstich-Flut vor gut 200 Jahren. Sie erreichten die bürgerlichen
Wohnzimmer und wurden zum begehrten Sammel-Alben-Objekt.
Prof. Dr. Matthias Winzen, Direktor des LA8, mit dem Ausstellungskatalog vor dem Bild "Wie die Krähwinkler Aufsehen erregen." Presse-Foto: Helga Waess |
„Wir sind jetzt diese Krähwinkler vor den Bildern der Ausstellung!“
Der Museumsmann Prof. Dr. Matthias Winzen stellt einen Vergleich zwischen der
Instagram-Affinität unserer Tage und der Krähwinkel-Sammelwut der
Biedermeierzeit auf. Bilder für Jedermann.
Und: der Besucher fühlt sich ertappt.
Und: der Besucher fühlt sich ertappt.
"Wie die Krähwinkler Aufsehen erregen." - Pressefoto aus der Ausstellung Gediegener Spott, im: Museum LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Foto: Helga Waess |
Die scheinbar intakte Idylle der Zeit des Vormärz'
Das Museum LA8 – Museum
für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden widmet
den kritisch-satirischen „Bildern aus Krähwinkel“ eine
faszinierende Schau und versetzt die Besucher mit „Gediegenem
Spott“ in die scheinbar intakte Idylle der Zeit des Vormärz'.
LA8 – Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden zeigt
-- verlängert bis 9. Sept. 2018 "GEDIEGENER SPOTT. Bilder aus Krähwinkel."
-- 29. Sept. 2018 bis 3. März 2019 "WILHELM BUSCH. Bilder und Geschichten"