Der Stadtheilige von München - Teil I
Väterchen Timofej und seine Gedenkstätte im Olympiapark
Ein Gartenparadies in München-Oberwiesenfeld
Ein kleines Gartenparadies im Olympiapark ist heute mit Schnee bedeckt. Es ist die inoffizielle Gedenkstätte für Väterchen Timofej, den Methusalem von München, der genau vor dreizehn Jahren im Alter von 110 Jahren verstarb. Timofij ist so legendär für München wie die Türme der Frauenkirche. Wie die Foto- und Brief-Dokumentation vor Ort zeigt, war es kein Geringerer als Alt-Oberbürgermeister Christian Ude, der diesen sonderbaren russischen Emigranten in einer Laudatio zu dessen 100. Geburtstag den „Stadtheiligen von München“ nannte.
Muenchen Marienplatz, Rathaus und Türme der Marienkirche, Foto: Helga Waess |
Väterchen Timofej: Individualist, Lebensphilosoph, Kreativer und Querdenker
Väterchen Timofej reiht sich ein in eine die Stadt München verkörpernde Personengruppe von Individualisten, Kreativen und Querdenkern, die ihre Lebensphilosophie unbedingt auslebten.Sie alle verbindet ein extrovertiertes, charismatisches Erscheinungsbild und der unbedingte, unbeugsame Wille, sie selbst zu sein, und ihren inneren Antrieb zum Lebensinhalt zu postulieren. Sie identifizieren sich mehr als jede andere Personengruppe mit München als Stadt und Lebensform.
Münchner Originale prägen die Stadt
Wenn diese Münchner erwähnt werden, ob im TV, Radio oder in offiziellen Reden, dann wird ihr Ikonen-Status für die Stadt klar. Der Münchner verbindet mit vielen prominenten Namen unerklärlich viel. Gemeint sind Persönlichkeiten wie das- Komikerduo Karl Valentin und Liesl Karlstadt,
- der Schriftsteller, Journalist und Münchner Spaziergänger Sigi Sommer,
- das Münchner Original Monaco Franze alias Schauspieler Helmut Fischer,
- der exzentrische Modezar Rudolph Moshammer
- oder eben der kauzige Russe vom Oberwiesenfeld, Väterchen Timofej, der als Stadtheiliger Berühmtheit erlangte.
- Hierzu gehören inzwischen wohl auch die tanzenden Marktfrauen vom Viktualienmarkt, die jedes Jahr im Münchner Fasching Stadtgeschichte schreiben und bis nach Japan bekannt sind.
Es sind eben diese Persönlichkeiten, die das Leben der Großstadt am Alpenrand mitprägen, verkörpern und im traditionellen Gedächtnis der Stadt stets lebendig sind. Für uns ein Grund, den umzäunten Garten von Väterchen Timofej mit seinen bis heute nicht genehmigten aber von der Stadt anscheinend geduldeten Schwarzbauten im Olympiapark zu besuchen.
Väterchen Timofeijs Häuschen sind Schwarzbauten im Olympiapark
Hier befand sich bis 1938 der Verkehrsflughafen München-Oberwiesenfeld. Nach 1945 lag dieses Gelände brach und wurde für zehn Millionen Kubikmeter Schutt aus der zerbombten Stadt genutzt.
Der Olympiapark hat jedes Jahr viele Besucher, aber fragt man hier und da auf dem Gelände, so stellt sich heraus: Kaum jemand weiß noch, dass sich ganz in der Nähe des Olympiabergs ein kleines Gartenareal mit Gebäuden befindet, die die Stadtbau-Kommission nie genehmigt hat. Man habe davon gehört, aber ob es das noch gäbe, sei nicht bekannt.
Für die Errichtung einer Kirche, einer Kapelle und weiterer flacher Bauten am Kriegsschuttberg auf dem Oberwiesenfeld gab es niemals Baugenehmigungen.
Doch es gibt sie noch, eine russische Enklave auf dem Platz des Tollwood Sommerfestivals, das Areal von Timofej Wassiljewitsch Prochorow
Hier, in der Gedenkstätte sind Zeitungsartikel ausgehängt, genauer im dortigen "Timofej Museum", das sogar, so lesen wir vor Ort, Wladimir Putin kennt.
Der Methusalem von München hat dieses Areal seit 1951 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Natascha begrünt, bewirtschaftet und bebaut. Timofej Wassiljewitsch Prochorow ging in die Stadtgeschichte als Väterchen Timofej ein. Im Laufe der Jahre wurde das Gartenparadies zur inoffiziellen Gedenkstätte für jenen russischen Emigranten, der längst zu den Münchner Originalen gezählt wird.
Gedenkstätte für Väterchen Timofej
Der russische Emigrant kam knapp sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nach München. Ließ sich mit Natascha hier nieder und erbaute am heutigen Olympiagelände im Auftrag einer Marien-Vision, wie er behauptete, eine Ost-West-Friedenskirche. Eine Kirche für alle, jenseits aller Konfessionen.Vermutlich hatten jene Männer, die dem Russen Anfang der 50er Jahre gestatteten, dort, wo man den Schutt aus dem zerbombten München sammelte, eine Wohnhütte zu errichten, nicht im Traum daran gedacht, was hier für ein unbeugsamer Geist bauen wollte.
Mit seinem ungewöhnlichen Lebensstil zog der russische Emigrant mit dem Vollbart von Anfang an die Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit auf sich. Er, seine Bauten, seine Lebensphilosophie und sein Lebensstil wurden von ihm und seinen Anhängern in den 60er und 70er Jahren lebhaft verteidigt.
Um die Gebäude wurde gestritten und demonstriert. Und ihr Erhalt ist bis heute wohl nicht zuletzt Alt-Oberbürgermeister Christian Ude zu verdanken, der im Garten von Väterchen Timofej häufig zu Besuch war.
Ein Idyll, auch heute noch.
In seinem kleinen Wohnhaus, das heute als Museum dient, erzählt die Fotografin Camilla Kraus Timofejs‘ Leben in Bildern. Eines davon aus dem Jahr 1972 zeigt Timofei und Natascha als Hochzeitspaar. Als seine Frau fünf Jahre später im Alter von 78 Jahren starb, errichtete Timofej ihr im Garten neben der Kirche ein symbolisches Grab - für sein privates Gedenken.
Der Eremit von München begegnete Friedensreich Hundertwasser, Silvia Sommerlath, der heutigen Königin von Schweden, die ihn als solche auch wieder besuchte, und vielen anderen. Häufige Gäste im liebenswertesten Schwarzbau Münchens waren Christian Ude und seine Frau Edith von Welser-Ude.
Mit den Jahren wurde der wunderliche alte Mann zum „Wahrzeichen von München". Nach seinem Alter befragt, antwortete er stets: „2000 Jahre!"
Unter diesem Link findet sich die Geschichte Timofej's - im II. Teil:
LOCATION: Stiftung Ost-West-Kirche e. V.
Spiridon-Louis Ring 10080809 München
Öffnungszeiten: In der Regel täglich von ca. 11 bis 17 Uhr; im Sommer meist länger
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