Freitag, 15. März 2024

UNESCO: 6 Neuaufnahmen - Immaterielles Kulturerbe 2024

 UNESCO-KOMMISSION - Immaterielles Kulturerbe - English


Was verbindet die Schwälmer Weißstickerei mit der Berliner Technokultur und was bitteschön ist Viez?


Allesamt sind "Schützenswertes Immaterielles Kulturerbe" in Deutschland


BERLIN. Wie die Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Deutschen UNESCO-Kommission am 13. März 2024 bekanntgaben, wurden sechs kreative, inklusive und innovative Kulturformen als Neuzugänge auf Deutschlands Liste des Bundesweiten Verzeichnises des Immateriellen Kulturerbes gesetzt. Neu sind die Aufnahme der Berliner Technokultur, das Bergsteigen in Sachsen, die Finsterwalder Sangestradition, der Kirchseeoner Perchtenlauf, die Schwälmer Weißstickerei und der Viez. Allessamt kulturelle Ereignisse, die nach Brauchtumspflege ausgeübt werden und sich im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten in die lebendigen Rituale der Menschen in den jeweiligen Regionen eingebürgert haben. Bundesweit haben wir damit 150 Einträge für das schützenswerte Immaterielle Kulturerbe in Deutschland. Die UNESCO unterstützt seit mehr als 20 Jahren die Weitergabe, die Dokumentation und den Erhalt lebendiger Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, Naturwissen, von Handwerkstechniken und auch von mündlichen Überlieferungen.


Perchtenläufer - Pressefotoarchiv: Helga Waess (2020)

Der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz 2024 und Hessische Kulturminister Timon Gremmels sagte gegenüber der Presse

Kultur wird tagtäglich in Deutschland gelebt, das zeigen wieder einmal mehr die sechs Neuaufnahmen in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Die jüngsten Einträge unterstreichen die Vielfalt und die Lebendigkeit kultureller Praktiken. Die Liste unseres Immateriellen Erbes wächst somit weiter und damit auch das Bekenntnis, Traditionen zu pflegen und langfristig für die nächsten Generationen zu bewahren.“


Kulturstaatsministerin Claudia Roth betonte:

Die Liste des Immateriellen Kulturerbes ist auch in diesem Jahr wieder durch wichtige Kulturformen ergänzt worden. Die Neuzugänge veranschaulichen nicht nur die regionale Vielfalt und thematische Breite der gelebten Kultur in Deutschland, sie stehen auch für einen erweiterten Kulturbegriff, der sich gegen die absurde Trennung von E- und U-Kultur wendet. Bezeichnend ist dafür die Aufnahme der Berliner Technokultur. Seit mehr als 30 Jahren ist Techno ein wichtiger Sound unserer Hauptstadt, auch für viele Menschen, die aus Europa und der ganzen Welt nach Berlin kommen. Die Berliner Technokultur steht seit vielen Jahren für Werte wie Vielfalt, Respekt und Weltoffenheit. Ob Subkultur oder traditionelle Handwerkstechnik, all das gehört zum kulturellen Reichtum unseres Landes, das unterstreicht diese Aufnahme in die Liste des Immateriellen Kulturerbes.“


Christoph Wulf, Vorsitzender des Fachkomitees Immaterielles Kulturerbe in Deutschland und Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission, erklärte:

Die Neuaufnahmen zeigen die ganze Bandbreite des kulturellen Lebens in Deutschland. Junge Kultur gehört genauso dazu wie jahrhundertealtes Handwerk, urbanes Erbe ebenso wie ländliches. Tradition und Wandel gehen hier Hand in Hand. Diese Vielfalt macht unsere Gesellschaft aus. Unser gelebtes Erbe stiftet Gemeinschaft und bringt Menschen Tag für Tag zusammen.“


Sechs lebendige Traditionen, die Ausdruck des regionalen Lebenstils in Deutschland sind, wurden ins Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulterbes aufgenommen:


1. Bergsteigen in Sachsen

Immer noch ein beliebter Sport, der Jung und Alt zusammenbringt, ist das Bergsteigen. Etwas besonderes erlebt man hier in Sachsen:

Diese besondere Kulturübung ist in der Sächsischen Schweiz und im Zittauer Gebirge (Sachsen) verbreitet - und auch darüber hinaus. Sie wird ganzjährig ausgeübt und gehört in den Bereich “Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum“.

Das Bergsteigen in Sachsen bezeichnet eine Praxis, welche die regionalen geologischen Bedingungen des Sandsteins einbezieht, der spezifische Techniken und Regeln des Kletterns und das Wissen um die naturräumlichen und biologischen Gegebenheiten voraussetzt und vermittelt.


2. Finsterwalder Sangestradition


Ausgehend von einem drei- bis vierstimmigen A-cappella-Gesang hat sich die Finsterwalder Sangestradition entwickelt. In Finsterwalde (Brandenburg) und in den umliegenden Ortschaften wird ganzjährig gesungen.

Ausgehend von dem 1899 entstandenen Couplet des Komponisten Wilhelm Wolff „Wir sind die Sänger von Finsterwalde", entwickelte sich in Finsterwalde eine identitätsstiftende Gesangstradition, die Chöre und Musikgruppen stetig weiter entwickeln.


3. Kirchseeoner Perchtenlauf (Foto oben)

Der Perchtenlauf in Kirchseeon (Bayern) ist eine ortstypische Ausgestaltung des „Perchtenlaufens“, das auch an anderen Orten zur Winterzeit ausgeübt wird. Die Perchten gelten in Kirchseeon als Glücksbringer, die in den jeweiligen Gemeinden umherziehen und das neue Jahr einläuten.

Der Kirchseeoner Perchtenlauf wird innerhalb der Gemeinde Kirchseeon aufgeführt, bei dem die Perchten an den Donnerstagen, Samstagen und Sonntagen im Advent sowie in der Perchtennacht vom 5. auf den 6. Januar umherziehen, um das neue Jahr einzuläuten. Kirchseeoner Perchten gelten als Glücksbringer, indem sie mit ihren Ritualen symbolisch die Geister der Dunkelheit bannen und die Geister des Neubeginns wecken.


4. Schwälmer Weißstickerei (Hessenstickerei)

Die Schwälmer Weißstickerei ist eine traditionelle Handwerkstechnik, die in der Region Schwalm in Hessen sowie darüber hinaus praktiziert wird und sich aus einer Kombination verschiedener Techniken zusammensetzt.

Bei der Schwälmer Weißstickerei wird mit weißem Garn auf dicht gewebtem Leinen verschiedene Motive gestickt. Sie setzt sich zusammen aus einer Kombination verschiedener Techniken, unter anderem Oberflächen-, Durchbruch- und Ausschnittstickerei. Viele unterschiedliche Motive stilisierter Formen wie Herz, Tulpe, Körbchen, Kreis und Vogel werden zu Konturenmustern arrangiert. Die Räume zwischen den Motiven werden dicht gefüllt mit Ranken, kleinen Blättern und Blüten. Immer wieder neue Konturenmuster, die riesige Auswahl an äußerst vielfältigen Flächenfüllmustern und die breite Palette unterschiedlicher Randgestaltungen bieten unbegrenzte Möglichkeiten der Gestaltung.


5. Technokultur in Berlin

Technokultur ist eine Subkultur rund um den Musikstil Techno, eine Form der elektronischen Tanzmusik, die seit Mitte bis Ende der 1980er Jahre weite Teile der Stadt Berlin geprägt hat. Kern der Technokultur sind die Musik und die dazugehörigen Tanzveranstaltungen.“ 

„Techno basiert auf verschiedene musikalische Entwicklungen. Neben der Musik umfasst die Technokultur unter anderem auch Mode und Veranstaltungen wie zum Beispiel Raves, also Tanzveranstaltungen mit elektronischer Musik. Musikalisch zeichnet sich Techno durch elektronische Töne aus, die in rhythmisch monotoner Struktur aneinandergereiht werden. Kennzeichnend sind die sehr große Modulierbarkeit und Bandbreite an Frequenzen. DJs leiten dabei durch synchronisierte Übergänge, den sogenannten „Mix“, von einem Stück zum nächsten über.


6. Viez

Viez ist Wein, der aus kultivierten Apfel-, Birnen- und Quittensorten gekeltert wird. Dabei stärkt der Anbau die Biodiversität und prägt das Bild der Kulturlandschaft im moselfränkischen Sprachraum.

Die Weinbereitung aus Äpfeln, Birnen oder Quitten, die damit verbundenen kulturellen Praktiken und Kenntnisse über Zucht, Anbau und Weiterverarbeitung der Obstsorten werden in Deutschland seit Jahrhunderten weitergegeben. Das zur Herstellung des Viezes erforderliche Wissen und Können beinhaltet unter anderem spezifische Kenntnisse rund um die Obstsorten sowie gärtnerische Maßnahmen, die zu deren Aufzucht erforderlich sind. Dies beinhaltet unter anderem sachgerechtes Pflanzen und nachhaltige Pflege der Bäume, Anlage von Baumschulen sowie Lagerung der Früchte. Während Kleinproduzentinnen und Kleinproduzenten bei der Herstellung von Viez in der Regel auf eine manuelle Spindel- und Hebelpresse zurückgreifen, kommen für größerer Volumina hydraulische Pressen zum Einsatz.

Bis zum 18. Jahrhundert waren die Klöster maßgeblich Träger des Wissens um Optimierung von Fruchterträgen und Gärverfahren. Das Aufblühen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und die damit einhergehende rapide Entwicklung ingenieurtechnischen Wissens führten auch zu einer zunehmenden Steuerung landwirtschaftlicher Prozesse auf Grundlage neu gewonnener agrartheoretischer Kenntnisse. Im Bereich der Viezproduktion bedeutete dies zum einen die gezielte Entwicklung und Steigerung des Obstanbaus durch Anlage von Baumschulen sowie Auswahl und Zucht insbesondere geeigneter Obstsorten, zum anderen die Verbesserung der Kelter- und Kellertechnik im Hinblick auf effiziente und hygienische Verfahren.


Bundesweites Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes - Hintergrundwissen

Das Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes wurde 2003 von der Generalkonferenz der UNESCO in Paris verabschiedet. Bis heute haben 182 Staaten den Vertrag ratifiziert. Deutschland ist seit 2013 Vertragspartei.

Einzelne Elemente aus den nationalen Verzeichnissen der Vertragsstaaten können für eine von drei internationalen UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen werden. Dazu gehören etwa die Saunakultur in Finnland, der Reggae aus Jamaika und das Hebammenwesen, das auf Vorschlag mehrerer Staaten, darunter Deutschland, im vergangenen Dezember zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt wurde.